rumäniendeutsche Literatur

rumäniendeutsche Literatur
rumäniendeutsche Literatur,
 
Bezeichnung für die Literatur der deutschsprachigen Minderheiten im heutigen Rumänien (Rumäniendeutsche); sie entstand aus der deutschsprachigen Dichtung Siebenbürgens, des Banats und der Bukowina. Die Dichtung der Siebenbürger Sachsen reicht ins 12. Jahrhundert, die der Banater Schwaben bis ins 18. Jahrhundert zurück. Von den Siebenbürger Sachsen sind seit dem Mittelalter mundartliche Volksdichtung, Märchen, Sagen und Balladen bekannt, die eine starke Bindung an Deutschland zu erkennen geben; dies gilt auch für die Humanisten und Historiographen des 16. Jahrhunderts (J. Honterus; Christian Schesäus, * 1536, ✝ 1585; Albert Huet, * 1537, ✝ 1607). Im 17.-18. Jahrhundert spielten siebenbürgisch-sächsische Autoren v. a. im Ausland eine Rolle (Auswanderung in die USA), während die Literatur der Banater Schwaben sich heimatlichen Sujets zuwandte. Die wichtigen Autoren des 19. Jahrhunderts, zum Teil an der Revolution 1848-49 maßgeblich beteiligt, waren die Lyriker Joseph Marlin (* 1824, ✝ 1849), der Erzähler und Dramatiker Daniel Roth (* 1801, ✝ 1859), der Mundartdichter Viktor Kästner (* 1826, ✝ 1857) sowie der Pfarrer und Chronist Stephan Ludwig Roth (* 1796, ✝ 1849). Der Einfluss der Romantik förderte die Entstehung von Sammlungen von Märchen und Gedichten. Um eine ästhetische Erziehung seiner siebenbürgischen Leserschaft bemühte sich A. Meschendörfer; A. Müller-Guttenbrunn zielte auf ein starkes banatschwäbisches Gemeinschaftsbewusstsein. Die literarische Produktion nach dem Ersten Weltkrieg belebten Romane und Erzählungen H. Zillichs, E. Wittstocks, O. Ciseks, Otto Alschers (* 1880, ✝ 1945) und Eugen Probsts(* 1858, ✝ 1937); einen eigenen Weg schlugen Autoren jüdischer Herkunft in der Bukowina ein: A. Margul-Sperber, P. Celan, Alfred Kittner (* 1906), Rose Ausländer, Moses Rosenkranz (* 1904), Immanuel Weissglas (* 1920, ✝ 1979). Von der Gründung der rumänischen Volksrepublik bis in die zeitgenössische Literatur eint die rumäniendeutschen Autoren das Bestreben, die Werte ihrer Heimat zu behaupten, ihre geistige Substanz zu erschließen, die Geschichte zu verarbeiten, aber auch offen zu sein für Einflüsse, die die Sprach- und Mentalitätsgrenzen überwinden können (Franz Liebhard, * 1899, ✝ 1989; A. Birkner; Wolf von Aichelburg, * 1912; Georg Scherg, * 1917; Hans Bergel, * 1925; Franz Storch, * 1927, ✝ 1983; Franz Heinz, * 1929; Arnold Hauser, * 1929, ✝ 1988). In dem vom rumänischen Staat zunächst mehr oder weniger gewährten Freiraum entwickelte sich ein differenziertes lebendiges literarisches Leben in allen seinen Ausprägungen, dem an Selbstfindung und Selbstbehauptung gelegen war (Irene Mokka, * 1915, ✝ 1973; Paul Schuster, * 1930; Hans Liebhardt, * 1934; Hans Mokka, * 1912; Klaus Kessler, * 1925; Claus Stephani, * 1938; Joachim Wittstock, * 1939; Werner Söllner, * 1951; Nikolaus Berwanger, * 1935, ✝ 1989; Anemone Latzina, * 1942; Rolf Bossert, * 1952, ✝ 1986; F. Hodjak; R. Wagner O. Pastior). Die Bindung an eine Minderheitenkultur, die weitgehend ohne Rezeptions- und Publikationsmöglichkeiten, ohne Verbindung zur lebendigen deutschen Sprache existiert, wurde Thema bei Herta Müller, Bossert, Berwanger und Dieter Schlesak (* 1934). Die Repressionen des kommunistischen Regimes führten v. a. seit den 80er-Jahren zur Auswanderung vieler Autoren (u. a. Birkner, Bergel, von Aichelburg, Bossert, Pastior, Herta Müller und R. Wagner) von denen ein Großteil heute in Deutschland oder in Österreich lebt. Besonders Herta Müller und ihr Mann R. Wagner setzen sich seit ihrer Übersiedlung 1987 immer deutlicher literarisch mit der Generation ihrer Eltern auseinander. Zugleich artikuliert sich Kritik an den im Westen vorgefundenen Verhältnissen, am deutlichsten bei Bossert. Die literarische Kritik in der Bundesrepublik Deutschland hebt die Intensität der rumäniendeutschen Literatur und deren präzise, an die Literaten des Prager Kreises erinnernde Sprache hervor. Nach den politischen Umwälzungen in Rumänien setzte eine Neuorientierung ein. Schriftsteller wie der Lyriker Helmut Britz (* 1956) lehnen den Begriff einer »rumäniendeutschen Literatur« ab und sprechen von der »deutschsprachigen Literatur in Rumänien«. Im Umkreis der in Bukarest erscheinenden Zeitschrift »Neue Literatur« artikuliert sich die jüngste Generation, die sich strikt gegen eine landmannschaftliche Begrenzung der rumäniendeutschen Literatur wendet.
 
 
Nachrichten aus Rumänien. R. L., hg. v. H. Stiehler (1976);
 
Reflexe, hg. v. E. Reichrath, 2 Bde. (Bukarest u. Klausenburg 1977-84);
 P. Motzan: Die rumänien-dt. Lyrik nach 1944 (Klausenburg 1980);
 
An Donau u. Theiß. Banater Leseb., hg. v. H. Fassel u. a. (1986);
 H. Bergel: Literaturgesch. der Deutschen in Siebenbürgen (Innsbruck 21988);
 
Die r. L. in den Jahren 1918-44, bearb. v. J. Wittstock u. a. (Bukarest 1992);
 
Die siebenbürgisch-dt. Lit. als Beispiel einer Regionallit., hg. v. A. Schwob (1993);
 R. Kegelmann: An den Grenzen des Nichts. Zur Situation r. L. der achziger Jahre in der Bundesrepublik Dtl. (1995).

Universal-Lexikon. 2012.

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